Zwei Konzepte, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Aber ein Ziel: Kunden verstehen und optimal bedienen – das eint Amazon und die KaDeWe Group, die unter anderem das gleichnamige Kaufhaus in Berlin betreibt. Ein Interview mit dem Chef der KaDeWe Group, André Maeder, und dem Country Manager von Amazon.de, Ralf Kleber, über unterschiedliche Kundenbedürfnisse, Pfeffermühlen im Sortiment und die Lust, sonntags einen Grill zu bestellen.

Ralf Kleber kommt eine Stunde zu früh ins KaDeWe in Berlin. Er isst an der Sushi-Bar und kauft ein Geschenk für seine Frau. Zum Gespräch mit André Maeder erscheint der Amazon Chef mit einer KaDeWe-Tasche.

Herr Kleber, Sie waren gerade einkaufen. Bewegen Sie sich als Country Manager von Amazon.de in einem Kaufhaus auf ungewohntem Terrain?
Kleber: Überhaupt nicht. Gewohntes Einkaufsterrain ist für mich überall dort, wo einkaufen Spaß macht – und das kann sowohl online als auch stationär sein. Und im KaDeWe macht einkaufen auf jeden Fall Spaß.

Herr Maeder, wann haben Sie zuletzt bei Amazon bestellt?
Maeder: Erst vor kurzem. Ich habe bei Amazon einen Grill gekauft – am Sonntagnachmittag von meiner Couch aus.

Warum sind Sie dafür über Amazon gegangen?
Maeder: Das war die Lust, jetzt in diesem Moment einen Grill zu bestellen.

Herr Kleber, ist diese Flexibilität etwas, was Amazon dem stationären Handel voraus hat?
Kleber: Wir wissen, dass Kunden sonntags gerne shoppen oder sich zumindest über Produkte informieren. Und da unsere Website immer zugänglich ist, haben wir einen Vorteil gegenüber Geschäften, die ihre Türen schließen müssen. Trotzdem sind Amazon und das KaDeWe schwer miteinander vergleichbar.

Warum?
Kleber: Herr Maeder, widersprechen Sie mir gerne! Ich glaube, wir denken in unserer Passion für den Kunden durchaus ähnlich – aber setzen sie auf ganz unterschiedliche Art und Weise um. Beide Ansätze haben ihre Berechtigung. Es gibt schließlich nicht den einen Kunden oder das eine Einkaufsbedürfnis.
Maeder: Der zentrale Unterschied ist: Wir haben nichts, das Sie wirklich brauchen. Am Morgen wacht niemand schweißgebadet auf und denkt: Heute muss ich im KaDeWe schwarze Socken kaufen. Selbstverständlich haben wir schwarze Socken – aber dafür kommt man in der Regel nicht extra ins KaDeWe.

Wofür kommen die Kunden denn zu Ihnen?
Maeder: Für das Erlebnis. Wir haben 35 Restaurants in unserem Haus mit rund 60.000 Quadratmetern. Wir haben Beauty Studios, wir haben Friseure, wir haben Personal Shopper, die sich nur auf Sie konzentrieren. Sie können hier mit der Familie Stunden verbringen und jeder geht glücklich nach Hause. Die Tochter hat eine neue Puppe, der Vater hat eine neue Kamera und die Mutter hat neue Schuhe, eine neue Tasche und ein neues Schmuckstück – und alle haben Sushi gegessen. Ohne dass man das unbedingt gebraucht hätte. Bei uns braucht man nicht, bei uns möchte man.
Kleber: Ich greif‘ den Ball mal auf. Wir sind eine ganze Spur funktionaler. Wer etwas Bestimmtes sucht, kommt zu uns – weil die Kunden mittlerweile wissen, dass sie fast alles bei uns finden. Dafür sorgt unser extrem breites Sortiment von aktuell mehr als 300 Millionen Artikeln.
Maeder: Wenn ich alles bei uns im Haus aufzähle, komme ich auf knapp eine Million Artikel – was schon wahnsinnig viel ist.
Kleber: Das ist wirklich beeindruckend für einen Department Store! Aber natürlich kommen unsere Kunden nicht zuletzt wegen unserer Sortimentsgröße zu uns und starten eine Produktinformationsreise – nicht notwendigerweise eine Einkaufsreise. Auf Amazon starten unglaublich viele Produktsuchen. Das ist das Resultat unseres Anspruchs, möglichst alles von allem anzubieten.

Wie stehen Sie zu diesem Modell, Herr Maeder?
Maeder: Hier zeigt sich ein anderer großer Unterschied. Wir kuratieren gewaltig. Wenn jemand Pfeffermühlen bei uns sucht, dann wollen wir ihm 40 oder 50 verschiedene Artikel anbieten. Darunter sind die Designer-Pfeffermühlen, die Pfeffermühlen mit der besten Qualität oder Funktionalität. So kuratieren wir bei allen Produkten.
Kleber: (nimmt sein Handy hervor) Ich habe mal eben nachgeschaut: über 5.300 Pfeffermühlen haben wir derzeit auf Amazon.de.
Maeder: Hier sehen wir die unterschiedlichen Modelle. Und wenn jemand nach den Pfeffermühlen bei Amazon sucht, kauft er sie am Ende vielleicht bei uns.
Kleber: Ja, das kann durchaus sein. Diese Vielfalt begrüßen wir.

Herr Maeder, warum verzichtet das KaDeWe denn auf E-Commerce?
Maeder: Online ist für uns augenblicklich ein Kommunikationskanal. Das heißt aber nicht, dass wir in Zukunft nicht auch E-Commerce anbieten werden – die Kunden sind schließlich online und offline. Aktuell setzen wir nur andere Prioritäten. Wir stärken gerade unsere Kernkompetenz: der Department Store als Ort der Begegnung, Information und Inspiration. Ein Ort an dem sich Menschen treffen. Deshalb haben wir auch Architekten engagiert, die sich mit dem Kommunikationsverhalten und dem sich verändernden Konsumverhalten von Menschen beschäftigen. Die drei Häuser – das KaDeWe in Berlin, der Oberpollinger in München und das Alsterhaus in Hamburg – sollen auch in Zukunft Ikonen ihrer Städte sein und der Stolz der lokalen Kunden und Anziehungspunkt für alle Besucher.
Kleber: Als Technologiekonzern investiert Amazon hingegen in ein viel breiteres Umfeld: in digitale Inhalte im Bereich Film und Musik, in Künstliche Intelligenz, in Sprachsteuerung. Warum? Weil unsere Prioritäten in der digitalen Welt liegen. So wie das KaDeWe schließen wir den anderen Kanal aber nicht aus. Amazon betreibt zahlreiche Läden an Universitäten – warum denn auch nicht? Kunden lieben Läden. Warum sollten wir uns dem verschließen?

Wie sieht denn der stationäre Handel der Zukunft aus?
Maeder: Uns gibt es 110 Jahre und uns wird es auch in 110 Jahren noch geben. Nur ist unklar, ob Department Stores strukturell gleich aufgestellt sein werden wie heute. Ich würde mir wünschen, sie bleiben weiter ein Ort, an dem sich Menschen treffen und inspirieren. Ich kann mir vorstellen, dass sich Department Stores zu Showrooms wandeln. Kunden finden dort wenige Musterteile zum Ansehen und Anfassen vor, konfigurieren das Produkt nach ihren Wünschen und bestellen es sich nach Hause – so ähnlich wie beim Autokauf.
Kleber: Wir konzentrieren uns auf die Kunden und wissen, dass niemand gerne an einer Kasse ansteht oder seine Einkäufe selbst einscannt. In Seattle testet Amazon daher aktuell Amazon Go. In diesem Supermarkt können Sie sich nehmen, was Sie möchten, und wieder gehen. Danach bekommen Sie eine Mitteilung mit dem abgebuchten Betrag aufs Handy. Das ist ein ziemlich neues Einkaufserlebnis. Ein Freund sagte zu mir, da fühlt man sich ein bisschen wie ein Ladendieb.

Herr Kleber, Sie haben früher bei Escada gearbeitet. Das heißt der stationäre Handel im Premiumbereich ist Ihnen nicht fremd. Was haben Sie aus Ihrer Zeit damals für Ihre heutige Tätigkeit mitgenommen?
Kleber: Das Wichtigste habe ich bei den Managerinnen und Managern der Escada-Stores gelernt. Und zwar, dass es einen unendlich hohen Wert darstellt, deine Kunden zu kennen. Und damit meine ich auch ihre Lebensumstände zu kennen, eine ehrliche Beziehung zu ihnen aufzubauen – und ihnen auch mal von etwas abzuraten. Diese Beziehung bauen wir natürlich anders auf. Unsere Website ist getrieben von Personalisierung, durch Amazon Echo kommunizieren wir auch über Sprachsteuerung mit den Kunden.

Warum haben Sie sich aus dem stationären Handel zurückgezogen?
Kleber: (lacht) Ich habe ja nicht mit dem stationären Handel gebrochen. Nach zehn Jahren wollte ich einfach etwas Neues machen. 1999 war wirklich Tag eins für den Internethandel – das hat mich fasziniert.

Herr Maeder, und was hat Sie im stationären Handel gehalten?
Maeder: Ich bin zwar bald 40 Jahre im Handel – aber ich habe währenddessen immer wieder die Seiten gewechselt: Ich war bei Harrods, aber auch bei Hugo Boss oder s.Oliver. Online spielte in jeder Station eine Rolle. Der rote Faden in meiner Laufbahn ist Fashion; dafür begeistere ich mich, denn Fashion steht wie nichts anderes dafür, sich ständig neu zu erfinden.

Wer sind denn die Kunden des KaDeWe? Sind das mehr Touristen oder mehr Berliner?
Maeder: Wir haben 50 Prozent lokale Kunden. Das ist weit mehr als bei vergleichbaren Häusern weltweit, die 20 bis 30 Prozent lokale Kunden haben. Wir sind schlichtweg ein fester Teil Berlins und seiner Identität. Jeder Berliner verbindet etwas mit uns. Die anderen 50 Prozent unserer Kunden sind Touristen – davon kommt die Hälfte aus Deutschland und Westeuropa. Außerhalb Westeuropas stellen Kunden aus China die Nummer eins dar, gefolgt von Russland und dem Nahen Osten.

Was tun Sie, um internationale Kunden zu gewinnen?
Maeder: Das KaDeWe ist die zweitbeliebteste Sehenswürdigkeit Berlins nach dem Brandenburger Tor, und wir sind wirklich in jedem Reiseführer vertreten, allein in das KaDeWe kommen jährlich 10 Millionen Besucher. Speziell auf die unterschiedlichsten Herkunftsländer ausgerichtete Kommunikationskanäle erlauben es uns heute schon vor Abflug, den Touristen das für sie interessante Angebot zu kommunizieren.

Herr Kleber, was tun Sie, um international, aber auch lokal präsent zu sein?
Kleber: Unser Ziel ist Globalität. Wir haben über 300 Millionen Kunden, die bei uns in den letzten zwölf Monaten gekauft haben – und wir schicken Einkäufe von Deutschland aus in über 180 Länder der Welt. Dafür stellt Amazon die deutschsprachige Website in vielen anderen Sprachen zur Verfügung. Um uns regional zu positionieren, haben wir in Berlin und München den Ein- und Zwei-Stunden- Lieferservice Prime Now eingeführt. Zudem kooperiert Amazon mit lokalen Händlern, wie Alexander Breiter aus München, einem der ältesten Hutmacher in Deutschland. Er ist wichtig für Münchner Kunden, genauso wie für Kunden in ganz Europa. All das tun wir, um global und regional erfolgreich zu sein.

Ist eine lange Geschichte eigentlich eine Last oder ein Vorteil für Innovation?
Kleber: Für uns war es ein Vorteil, dass wir mit unserem Geschäftsmodell vor 20 Jahren etwas Neues geschaffen haben. Daher haben wir es oft leichter als Unternehmen, die ihr bestehendes Geschäftsmodell an die Entwicklung anpassen müssen. Doch auch wir sind nicht immer Innovationstreiber. Das Smartphone haben wir zum Beispiel nicht erfunden – und mussten uns darauf einstellen.
Maeder: Wir haben eine lange Vergangenheit, auch mit schwierigen Zeiten. Aber letztendlich hat das alles zu unserem Mythos beigetragen. Berlin hat sich über die Jahrzehnte massiv verändert, und mit der Stadt auch das KaDeWe: Die Zeiten des Wirtschaftswunders haben wir erlebt, die Wende und jetzt die Internationalisierung, die uns viele Kunden aus dem Ausland bringt – Touristen, aber auch Menschen, die dauerhaft nach Berlin ziehen. Onlinehandel ist auch ein Umbruch, und auch auf diesen stellen wir uns ein.