Als die Corona-Pandemie in diesem Winter unaufhaltsam auf Europa zurollte, war Simon Weidert sofort klar: Um das Virus zu bekämpfen, muss die Forschung um ein Vielfaches beschleunigt werden. Und zwar jetzt und sofort. Dazu ist der Einsatz künstlicher Intelligenz nötig. Sowohl in seiner Forschungstätigkeit als Wissenschaftler am Uniklinikum München (LMU) als auch in seiner vor vier Jahren gegründeten Firma M3i verfolgt Simon vor allem ein Ziel: die Qualität medizinischer Behandlungen mithilfe computergestützter Verfahren und künstlicher Intelligenz (KI) zu verbessern.

Mit AWS und Algorithmen gegen COVID-19

Dazu arbeitet er mit Informatikern der Technischen Universität sowie der Ludwig Maximilians-Universität München zusammen. Diese arbeiten bereits daran, Algorithmen zu entwickeln, die automatisch und in Windeseile Krankheitszeichen entdecken und sogar Prognosen über den zukünftigen Krankheitsverlauf abgeben. „KI-Technologien bieten die Möglichkeit, Prozesse in der Medizin zu automatisieren und extrem zu beschleunigen. Der Datensatz einer einzigen computertomografischen Untersuchung kann aus mehreren hundert Bildern bestehen, die der Arzt durchgehen muss, um nach Auffälligkeiten zu suchen. Eine KI macht das in wenigen Sekunden. Außerdem kann der Algorithmus Muster erkennen, die der Mensch mit bloßem Auge gar nicht erfassen kann,“ erklärt Simon.

Die weltweit besten Experten für Künstliche Intelligenz vernetzen

Auch bei der Diagnose und Behandlung von COVID-19 spielen bildgebende Verfahren eine wichtige Rolle. Denn ob und inwieweit die Lunge vom Virus befallen ist, lässt sich am zuverlässigsten durch radiologische Bildgebung feststellen. Da ist es naheliegend, Algorithmen zu erstellen, die auf Basis der CT- und Röntgenbilder von Erkrankten erkennen können, welche Lungensegmente betroffen sind, in welchem Stadium der Patient ist und inwiefern sein Zustand kritisch ist. Das brachte Simon auf eine Idee: Die Entwicklung einer offenen Kollaborationsplattform, die IT-Experten und -Teams weltweit eine möglichst große und heterogene Menge von Bilddaten zur Verfügung stellt.

Mit AWS und Algorithmen gegen COVID-19

Das Ziel: Im Rahmen einer Challenge die besten Köpfe zur Entwicklung von Modellen zusammen zu bringen, um die Ärzte bei der schnelleren Diagnose und gezielten Behandlung von COVID-19-Patienten zu unterstützen. Dieses Vorgehen wäre in der medizinischen Forschung ganz neu, so Simon: „Natürlich sprießen gerade zahlreiche Initiativen geschlossener Forschungsgruppen aus dem Boden, die mit Hochdruck an der Entwicklung zuverlässiger Algorithmen zur schnelleren und besseren Diagnose von COVID-19 arbeiten. Aber wir sind der Meinung: Keine dieser Einzelinitiativen mit begrenzten menschlichen Ressourcen kann so gute Ergebnisse liefern wie die Schwarmintelligenz der besten Teams und Programmier-Genies weltweit. Und in diesem Punkt unterschied sich unsere Idee von allen anderen: Wenn es möglich wäre, eine Challenge auszurufen und allen Teilnehmern sehr hochwertige Datensätze zugänglich zu machen, könnten ihre Resultate anschließend auch wieder der ganzen Welt zur Verfügung gestellt werden. Das würde die Forschung extrem schnell und auf einem hohen Qualitätsniveau nach vorne katapultieren.“

Das Unmögliche wird möglich

Das einzige Kniffelige an der Sache: Bei Patientendaten handelt es sich um äußerst sensible Daten, die vor Missbrauchsszenarien und Angriffen jeglicher Art zu schützen sind und nicht veröffentlicht werden dürfen. So vielversprechend Simons Idee auch erschien – er war sich sicher, dass die rechtlichen Auflagen eine Realisierung leider unmöglich machen würden. Gerade als Simon sein Vorhaben begraben wollte, traf er durch einen Zufall – andere nennen es Schicksal, Vorhersehung oder Glück – Fausto Milletarì. „Ein Kollege, der Fausto kannte, sagte zu mir: ‚Wenn dir jemand helfen kann, dann er.‘ Ich hatte schon viel von Fausto gehört und gelesen, denn er gilt als ausgewiesener und unglaublich innovativer KI-Experte. Als ich ihm von meiner Idee und meinen datenschutzrechtlichen Bedenken erzählte, meinte er: „Ich denke, ich habe hier eine Lösung“. Ich gebe zu, dass es eine Weile gedauert hat, bis ich ihm geglaubt habe,“ erinnert sich Simon.

Mit AWS und Algorithmen gegen COVID-19

Der Grund, warum Fausto sich so sicher war: Er hatte das Konzept schon längst im Kopf entwickelt. Denn in seiner Freizeit hatte er eine neue Software-Applikation gebaut, die genau das kann, was Simon nicht für möglich hielt: Daten unter Einhaltung des Datenschutzrechts zur offenen Kollaboration bereitzustellen und die Rohdaten gleichzeitig privat in der Cloud zu behalten und vor einem Download zu schützen (https://www.covid19challenge.eu/#data-protection-and-privacy). Im nächsten Schritt wollte Fausto sein Konzept auf Amazon Web Services (AWS) ausprobieren. „Es zeigte sich schnell: Mit der Technologie, den Diensten und den hohen Sicherheitsstandards von AWS, die strenge Prüf- und Qualitätskriterien in Bezug auf den Datenschutz erfüllen, lässt sich unsere Plattform genauso bauen, wie wir sie uns vorgestellt haben. Nachdem wir einen ersten Prototyp zum Laufen gebracht hatten, beschlossen wir, uns persönlich an das AWS Team zu wenden, um Unterstützung für unser Projekt zu erhalten,“ erzählt Fausto. Erst kurz zuvor hatte AWS ein weltweites Förderprogramm zur COVID-19-Diagnose aufgelegt. Im Rahmen dieses Programms unterstützt AWS Kundenprojekte, die Lösungen für eine beschleunigte und präzise Diagnostik entwickeln und damit der Gesellschaft und speziell den Patienten helfen. „Die Idee einer offenen Kollaborationsplattform und Faustos Prototyp haben uns sofort überzeugt, das Projekt mit unseren eigenen Kapazitäten und unserer AWS Infrastruktur zu unterstützen,“ erzählt Halit Oener, Ansprechpartner im AWS Team. Darüber hinaus stehen die AWS Experten Fausto mit technischer Unterstützung und Beratung zur Verfügung. Innerhalb von zwei Wochen schaffte es Fausto so, das Unmögliche möglich zu machen und den ersten Teil von Simons Idee, den Bau der Plattform, zu verwirklichen.

Forschung im Dienst der COVID-19-Patienten

Die nächste Herausforderung: Weitere Kooperationspartner und insbesondere Kliniken und Ärzte auf der ganzen Welt zu gewinnen, die CT- und Röntgenbilder sowie weitere klinische Informationen ihrer Patienten wie Krankheitsverlauf und Nebenerkrankungen für die Challenge anonymisiert zur Verfügung stellen – natürlich unter der Einhaltung rechtlicher und ethischer Standards, die durch die enge Zusammenarbeit mit der Ethikkommission der LMU München gewährleistet ist „Unser Ziel ist, bis Ende Juni 300 bis 400 Datensätze aus der ganzen Welt zu erhalten. Bis dato haben wir bereits 95 Datensätze aus den USA, Europa und natürlich Deutschland. Wir hoffen, auch noch Daten aus China zu bekommen. Bevor wir die Daten auf unsere Plattform hochladen, bereiten unsere medizinischen Experten sie qualitativ so auf, dass sie mit den richtigen Bezeichnungen/Labels versehen und klassifiziert sind. Denn die Maschine kann nur dann lernen, wenn Menschen sie mit den optimal aufbereiteten Informationen füttern,“ erläutert Simon.

Marcus Treitl, Chefarzt der Abteilung für Radiologie und Neuroradiologie der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau, unterstützt die Forschungsinitiative von Simon und Fausto. Er ist sich sicher: „Die bereits existierenden Daten zu COVID-19 bieten ein Riesenpotenzial für die Entwicklung von KI-Technologien. Ich bin optimistisch, dass der Crowd Sourcing-Ansatz gute Ergebnisse liefern wird, die in der Lage sind, klinisch relevante Probleme zu lösen. Damit kommt das Forschungsprojekt am Ende der gesamten Gesellschaft und den COVID-19-Patienten zugute.“